Mittwoch, 05. März 2025, Kreiszeitung von Anke Seidel.
Nach dem Weg aus der Sucht bietet die Montagsgruppe bei release Hilfe
Alkoholismus ist nur eine von vielen Süchten, die in Selbsthilfegruppen im Mittelpunkt stehen.
Landkreis Diepholz – Heute ist Aschermittwoch – ein Tag, der symbolisch für Umkehr sowie ein besseres, selbstbestimmtes Leben steht. Diese Umkehr haben drei Menschen schon vor Jahren hinter sich gebracht und nun eines gemeinsam: ein neues, buchstäblich selbst-bewusstes Leben, nachdem sie ihre Alkoholkrankheit überwunden haben. Kraft gibt ihnen der Austausch. Regelmäßig montags um 19 Uhr treffen sie sich in der Tagesstätte für suchtkranke Menschen am Bassumer Bahnhof. Die Montagsgruppe hat Sylvia im August 2016 gegründet – ein Forum, das Hilfe bietet. „Auch bei Spielsucht oder Sexsucht“, nennt die 66-Jährige Beispiele.
Zurzeit sind es fünf Betroffene, die sich regelmäßig austauschen – in anderen Zeiten waren es deutlich mehr. Weil es Raum für neue Betroffene gibt, wendet sich das Team bewusst an die Öffentlichkeit. In der Montagsgruppe kommen Betroffene mit Experten zusammen: Menschen, die Sucht überwunden haben. „Das Problem ist schleichend“, weiß Sylvia. Den Ausstieg könne allein der Betroffene bestimmen: „Es geht um den Zeitpunkt, an dem man selbst erkennt: Ich bin Alkoholiker.“
Diesen Zeitpunkt hat auch Ralf gefunden. Bei seiner Arbeit in einer Brauerei ist er in die Alkoholabhängigkeit gerutscht – bis er entschied: „Jetzt ist Schluss!“ Das war der 1. Oktober 2002“, blickt der 60-Jährige zurück. Er habe gleich seinen Chef und seine Kollegen „mit ins Boot genommen“. Beide sowie auch Brigitte (Name von der Redaktion geändert) haben zunächst eine stationäre Therapie und danach eine ambulante absolviert, um sich dann einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. „Selbsthilfe ist für ein ganzes Leben“, sagt Sylvia. Sie hat verschiedene Gruppen besucht und erlebt: „Es passte nicht!“ Deshalb hat sie mit anderen die Montagsgruppe gegründet. Die richtige Auswahl der Gruppe sei wichtig, sind alle überzeugt. Deshalb raten sie dazu, „erst einfach mal reinzuschnuppern“.
Brigitte, Sylvia und Ralf fühlen sich in der Montagsgruppe wohl und schätzen den vertrauensvollen Austausch, für den es eine unumstößliche Regel gibt: „Alles bleibt in der Gruppe“, absolute Schweigepflicht. Trotzdem: In der Öffentlichkeit bekennen sich Sylvia und Ralf zu ihrer Sucht. Brigitte braucht dagegen einen geschützten Raum und weiß, dass sie sich auf die Montagsgruppe voll verlassen kann.
Sie hat gerade eine Kreuzfahrt hinter sich. „Ich habe vorher darüber nachgedacht, dass mir vom Wellengang schlecht werden könnte“, so die 57-Jährige, aber dass alkoholische Getränke auf einem Kreuzfahrtschiff allgegenwärtig sind und sie nicht einfach nach Hause fahren kann, darüber habe sie nicht nachgedacht. Es war eine neue Erfahrung für sie, nicht entkommen zu können. „Ich bin gut damit klargekommen“, blickt sie zurück, „aber ich habe mich genervt gefühlt“. Genervt vom typischen Verhalten alkoholisierter Menschen – und dadurch ausgegrenzt.
Ralf nimmt gerne an Feiern im Familien- und Kollegenkreis teil. „Wenn es mir zu blöd wird“, beschreibt er zu feucht-fröhliche Ausgelassenheit, „dann fahre ich weg“. Seiner Abstinenz ist er seit seinem Schicksalstag treu, betont er. Zwölf Jahre nach seinem Ausstieg musste er sich trotzdem einer neuen elementaren Herausforderung stellen. Bei der Operation seiner Magengeschwüre war es zu Komplikationen gekommen, die zu einer Leberzirrhose führten. Zur Transplantation habe es keine Alternative gegeben, berichtet Ralf. Seine bange Frage damals: „Ich bin trockener Alkoholiker. Habe ich überhaupt eine Chance?“ Er war erleichtert, dass genau das nach zwölf Jahren keine Rolle mehr spielte. Seine Abstinenz wurde in verschiedenen Untersuchungen überprüft und bestätigt. „Diesen Untersuchungen müssen sich alle unterziehen“, sagt Ralf.
Seit 2016 lebt er mit einer neuen Leber, muss neue Einschränkungen schultern. Aber der 60-Jährige ist froh, damals seine Entscheidung gegen den Alkohol getroffen zu haben: „Sonst wäre ich jetzt nicht mehr hier.“ Sein Credo: „Es braucht niemand Rücksicht auf mich zu nehmen. Ich muss auf mich selbst aufpassen!“ Festgestellt hat Ralf, dass sich der gesellschaftliche Umgang mit Alkohol geändert hat, verantwortungsvoller geworden ist. Das bestätigt Sylvia: „Das Bewusstsein hat sich stark verändert. Es wird weniger Alkohol getrunken.“ Insbesondere bei Jugendlichen. Trotzdem wollen Sylvia, Ralf und Brigitte darauf aufmerksam machen, „dass es uns gibt“ – und Menschen helfen, „die ihren Alkoholkonsum in Frage stellen oder bedenklich finden“. Vielleicht heute, am Aschermittwoch.
ANKE SEIDEL
Kontakt
Die Gruppe trifft sich montags um 19 Uhr in der Tagesstätte für suchtkranke Menschen, Am Bahnhof 1, Bassum. Wer teilnehmen möchte, kann sich über Gabriele Henstedt unter 04241/9210887 oder per E-Mail (reta@release-netz.de) melden.